Im Ruhrgebiet – auch liebevoll Pott genannt – gibt es von allem reichlich: vor allem Menschen, viel Kultur, sogar Natur und unübersehbar Industrie. Ein lohnendes Ziel für das ifp-Jahrestreffen 2016. Das Programmpaket in Essen war dicht gepackt: Lateinamerika-Abend mit Adveniat, Worldcafé zum Thema Flucht, Besuche u.a. bei der Funke Mediengruppe (drittgrößtes Verlagshaus in Deutschland) und in der Zeche Zollverein, Gottesdienst mit dem Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck, festlicher Abend mit der Verleihung des Pater Wolfgang-Seibel-Preises im Duisburger Industriepark Nord und schließlich Diskussion über Chancen und Grenzen eines konstruktiven Journalismus.

Wenn Journalisten nach Lösungen für die Probleme dieser Welt suchen, dann nennen sie das mittlerweile konstruktiven Journalismus und hoffen darauf, damit ein Mittel gegen die sogenannte Medienverdrossenheit vieler Menschen gefunden zu haben. Ob das funktionieren kann, darüber diskutierten knapp 250 Journalisten aus ganz Deutschland während des diesjährigen Jahrestreffens. Auf dem Podium waren Elmar Theveßen (Stellvertretender Chefredakteur ZDF), Ulrike Simon (Medienjournalistin), Cornelius von Tiedemann (Nordschleswiger/Dänemark) und Eva-Maria Verführt (tea-after-twelve.com).

Welche Aufgabe haben Journalisten? „Die Welt abzubilden, wie sie wirklich ist“, so ARD-Redakteurin Katharina Henning. Was zunächst nach einem journalistischen Grundsatz klingt, ist für Henning aber viel mehr, nämlich konstruktiver Journalismus. Positive Entwicklungen würden bei überwiegend deprimierenden Nachrichten vernachlässigt, sagte Henning. Es fehle oft das „Prinzip Hoffnung“. Mit konstruktivem Journalismus könne man den Gemütszustand der Menschen verändern, sodass diese die Probleme anpacken, erläuterte Henning. Dass die Medien in den vergangenen Monaten Vertrauen eingebüßt haben, darüber herrschte auf dem Podium Einigkeit. Ob es reicht, das eigene journalistische Handwerk einfach wieder konsequent zu beachten, oder ob der Journalismus neue Ansätze braucht, darüber gingen die Meinungen auseinander.

Konstruktiven Journalismus stärker ins Bewusstsein gedrängt

Alle Sichtweisen zu einem Thema hören und differenziert auch mal über positive Beispiele zu berichten, fordern die Vertreter eines konstruktiven Ansatzes. „Das ist klassischer Journalismus“, entgegnete die freie Medienjournalistin Ulrike Simon. Konstruktiv zu berichten, sei schon immer Aufgabe der Medien gewesen. Der Ruf nach konstruktivem Journalismus rühre vor allem aus einer Sehnsucht, sich intensiver mit einem Thema beschäftigen zu dürfen. Elmar Theveßen, Stellvertretender Chefredakteur des ZDF, sagte: „Manchmal ist es aber wichtig, dass man etwas mit einem Namen benennt, damit es stärker ins Bewusstsein dringt.“ Zudem sei der Kernbegriff des Journalismus in den vergangenen Jahren verwaschen worden.

Für Eva-Maria Verführt geht konstruktiver Journalismus über das hinaus, was Journalisten schon bisher gemacht haben. Journalisten sollten nicht nur zwei Seiten beleuchten, sondern immer gezielt nach Lösungsansätzen fragen, forderte die Gründerin des Onlinemagazins tea-after-twelve.com .Warum das Konzept des konstruktiven Journalismus vor allem in Skandinavien viele Anhänger hat, ordnete Cornelius von Tiedemann ein, Stellvertretender Chefredakteur der deutschen Tageszeitung „Nordschleswiger“ in Dänemark. „Es wurde immer alles auf Konflikt und Skandal gebürstet“, sagte von Tiedemann über die dänische Medienlandschaft. Grund genug, dass viele sich von den Medien abgewandt hätten und der konstruktive Journalismus als Antwort erfolgte.

Zu der Frage, ob in einer Situation mit „Lügenpresse“-Rufen konstruktiver Journalismus überhaupt ausreiche, antwortete von Tiedemann: „Wir stehen in einem Stimmungstief, das wir uns selber auferlegt haben.“ Nun müsse man die Welt zeigen, wie sie ist. Elmar Theveßen sagte, die Medien müssten offenlegen, wie sie zu ihren Rechercheergebnissen kommen. Ganz leicht umzusetzen sei der konstruktive Journalismus allerdings nicht, wie Theveßen veranschaulichte: Oftmals würden lieber „kurze, knackige, zoffige O-Töne“ anstelle differenzierter Aussagen ausgewählt. Auch mehr Zeit und Personal seien vonnöten.