Erschienen in der Nürnberger Zeitung vom 01.08.2016

Nach Deutschland gekommene Flüchtlinge, die radikalisiert von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), hierzulande Anschläge verüben – dieser Dreiklang beherrscht derzeit die Nachrichtenlage. Als die Organisatoren vor gut einem Jahr mit den Planungen zur 3. Regionalkonferenz „DialogForum Sicherheitspolitik (DFS)“ begannen, wussten sie freilich nicht, dass sie aufgrund der beiden Anschläge von Würzburg und Ansbach, bei denen von einem islamistischen Hintergrund ausgegangen wird, mit ihrer inhaltlichen Schwerpunktsetzung traurige Aktualität erhalten würden.

Unter der Überschrift „Islamismus-Radikalismus-Terrorismus“ lud die Bezirksgruppe Mittelfranken des Landesverbands Bayern der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. gemeinsam mit der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP-Sektion Mittelfranken), der Georg-von-Vollmar-Akademie e.V. und dem Gesprächskreis Nachrichtendienste in Deutschland e.V. am gestrigen Sonntag im Historischen Rathaussaal zu einem breitangelegten Austausch über dieses Thema ein.

Miteinander ins Gespräch kamen Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, den Sicherheitsbehörden und der Bundeswehr. In seinem Grußwort hob Michael Fraas, Wirtschaftsreferent der Stadt Nürnberg, die Bedeutung dieser Auseinandersetzung hervor: „Es ist wichtig, auf die vielen Fragen, die sich hinsichtlich von Radikalismus und Terrorismus als Herausforderungen unserer Zeit ergeben, sachlich fundierte Antworten zu geben.“

Neue Formen des Terrors: Anschlägen auf dem Meer

Mit Professor Stefan Fröhlich, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), dem Berliner Terrorismusexperten Berndt Georg Thamm und Kriminaloberrat Holger Schmidt vom Bayerischen Landeskriminalamt – Kompetenzzentrum für Deradikalisierung, trugen renommierte Experten in ihren Vorträgen und im Rahmen eines sich anschließenden Podiumsgesprächs – moderiert von Professor Eberhard Grein, Leiter des „DialogForums Sicherheitspolitik“ – dazu bei. In seiner Keynote leitete Stefan Fröhlich die Tagung mit grundsätzlichen Gedanken und Anmerkungen aus seiner „Vogelperspektive der internationalen Politik“ ein.

Er mahnte an, dass der Islamismus kein einheitliches, in sich geschlossenes Phänomen sei, sondern in seinen unterschiedlichen Ausprägungen lediglich die Gemeinsamkeit habe: den Islam für seine jeweiligen politischen Zwecke zu missbrauchen. „Das Phänomen ist bei weitem nicht neu, es hat nun aber auch uns endgültig mit voller Wucht vor der eigenen Haustüre erreicht. Bereits seit Beginn der 90er Jahre ist in Debatten von einem erweiterten Sicherheitsbegriff die Rede, der mehr umfasst als Kriege zwischen einzelnen Staaten“, so der Wissenschaftler.

In neuen Formen des Terrors, wie Anschlägen auf dem Meer, etwa auf Offshore-Infrastruktur für Energie, sieht er genauso weitere Herausforderungen auf die Gesellschaft zukommen, wie im Umstand, dass Europäische Union und NATO noch unabsehbar lange Zeit durch die Bedrohung des Mittelmeerraumes durch transnationale Terrorismusströme beschäftigt würden. „Hinzu kommt die Frage, ob wir Konzepte haben werden, um in Ländern im Nahen und Mittleren Osten für Stabilität und Sicherheit zu sorgen und wie wir dafür international zusammenarbeiten werden.“

Langfristiger Erfolg nur  Ursachen für Radikalisierung beseitigt werden

Anders als Papst Franziskus, der beim Weltjugendtag in Krakau jeden Hinweis auf den islamistischen Hintergrund der jüngsten Anschläge unterließ und davon sprach, dieser Terrorismus sei kein Krieg der Religionen, sondern ein „Krieg des Geldes, der Interessen, der Ressourcen“, stellte der freiberufliche Fachjournalist und Publizist Berndt Georg Thamm in seinem Vortrag genau diese Verbindung her: „Im innerislamischen Konflikt im Nahen Osten und den daraus resultierenden Bürgerkriegen im Irak oder in Syrien geht es nicht nur um Einfluss, Macht, Geld oder Ressourcen, sondern immer auch um Religion.“ Dies sei vom Westen in der Vergangenheit nicht entsprechend beachtet worden.

Den Kampf um die Vorherrschaft im Dschihad, dem Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen, der zwischen Al Kaida und dem IS entbrannt ist, sieht er noch nicht als die Spitze des Eisbergs an: „Was wäre, wenn sich beide Terrororganisationen nicht länger gegenseitig bekämpfen, sondern sich im Kampf für ihre Sache zusammenschließen würden?“ Erste entsprechende Annäherungen habe es in der Vergangenheit bereits gegeben. Der Dschihad-Terrorismus sei deshalb die größte sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts, „die uns noch über mehrere Generationen hinweg begleiten wird“.

Ein optimistischeres Bild zeichnete dagegen der LKA-Beamte Holger Schmidt bei seinem Blick auf die innenpolitischen Aspekte. Die plakative Feststellung, dass die Welt mehr und mehr aus den Fugen gerate, wolle er nicht teilen. Er appellierte, sich nicht im Leben einschränken zu lassen. Wenngleich in seinen Ausführungen deutlich wurde, dass in Bayern derzeit 600 Salafisten bekannt sind, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen und nur wenige gesicherte Erkenntnisse existieren, wie groß das Personenpotenzial ist, welches sich zusätzlich kontinuierlich radikalisiert.

„Problematisch sehe ich vor allem auch die zunehmende Islamfeindlichkeit in der Gesellschaft. Wenn diese noch zu verstärkten Gegenreaktionen führt, kann auch das die Sicherheitslage negativ beeinflussen“, so Holger Schmidt weiter. Vor dem Hintergrund seiner Arbeit im seit dem vergangenen Herbst existierenden Kompetenzzentrum für Deradikalisierung machte er deutlich, dass sich ein langfristiger Erfolg nur dann erzielen lasse, wenn die Ursachen beseitigt würden, die zu einer Radikalisierung führten: „Wir müssen an die Wurzeln herangehen, die häufig im drängenden Wunsch liegen, Teil einer Gruppe zu sein und sich zugehörig zu fühlen.“

„Ein Gramm Information wiegt mehr als eine Million Tonnen Meinung“

Hinzu sei der Aufbau von Systemvertrauen zwischen staatlichen Stellen und muslimischen Gemeinden unabdingbar, um einen frühzeitigen Austausch über Radikalisieriungstendenzen sicherstellen zu können. Dass die Begegnung dieser Herausforderung allen voran eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, wurde im abschließenden Podiumsgespräch, bei dem die Folgerungen für die deutsche Politik vor dem Hintergrund islamistischen Extremismus im Mittelpunkt standen, deutlich.

Für Politikwissenschaftler Stefan Fröhlich führt kein Weg an einem konsequenten Schutz der Außengrenzen vorbei: „Ich möchte keinesfalls eine Abschottung, aber es muss eine undurchlässige Kontrolle gewährleistet sein.“ Holger Schmidt warb vor dem Hintergrund einer nötigen Wertevermittlung für eine verstärkte Ausbildung von qualifiziertem Fachpersonal, welches neben einer sozialpädagogischen Ausbildung auch auf fundierte Kenntnisse der Islamwissenschaft zurückgreifen kann.

Keine Alternative, als dem international aufgestellten Terror auch mit internationalen Allianzen jenseits der gängigen Denkmuster und Grenzen im Kopf zu begegnen, sieht Berndt Georg Thamm. Doch eine Allianz mit China oder Russland? Nicht nur für den Experten Stefan Fröhlich ob des jeweils eigenen Umgangs im Land mit kontroversen Themen derzeit undenkbar. Ein einheitlicheres Vorgehen in Sachen Außen- und Sicherheitspolitik gerade in der Europäischen Union forderte aber auch der Politologe mit Nachdruck.

Dass der Weg, sich mit dem Objekt der Angst, die derzeit für viele Menschen im Fokus steht, sachlich auseinanderzusetzen und auf diese Weise gegen sie anzugehen, der richtige ist, machte die Tagung deutlich. Gemäß dem Leitspruch von Professor Friedwart Lender, Landesvorsitzender Bayern im Reservistenverband: „Ein Gramm Information wiegt mehr als eine Million Tonnen Meinung.“