Erschienen in der Nürnberger Zeitung am 30.06.2017

NSU-Untersuchungsausschuss legt neuen Abschlussbericht vor

Teil zwei des vernichtenden Urteils

84 Zeugenbefragungen, 721 Gigabyte Akten und Dokumente, anderthalb Jahre Arbeit zusammengefasst in einem rund 1400-seitigen Abschlussbericht: Das steht am Ende des  zweiten Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestags zur Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU).

BERLIN/NÜRNBERG — Am Donnerstag beriet das Plenum abschließend über den Bericht des Gremiums, das unter dem Vorsitz des CDU-Innenpolitikers Clemens Binninger auf der Grundlage des ersten Untersuchungsausschuss zum NSU-Fall Fragen
untersuchen sollte. Die Bilanz bleibt im Vagen. Anstelle der 47 Empfehlungen, die der erste Ausschuss für die Bereiche Polizei, Justiz und Verfassungsschutzes gegeben hatte, begnügen sich die 16 Mitglieder des Nachfolgeausschusses mit einem knappen Fazit, in dem man sich den bestehenden Forderungen anschließt. Eine „umfassende strukturelle Aufklärung der Neonazi-Netzwerke“ sei bislang „unterblieben“, weitere Ermittlungsarbeit „unverzichtbar“.

Der Ausschuss-Vorsitzende Binninger sagte, es gebe immer noch „drängende Fragen“. Er kritisierte, dass der Generalbundesanwalt zu sehr auf die These eines Tätertrios fixiert gewesen sei. Die Ermittler hätten sich auf Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe konzentriert und mögliche Mittäter nicht ausreichend beachtet. „Wir haben eine Reihe von Indizien zusammengetragen, die zumindest den Zweifel manifestieren, ob all diese 27 Verbrechen – Morde, Sprengstoffanschläge und Raubüberfälle – nur von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen worden sein können“, so Binninger. Er forderte strengere Regeln für die Arbeit von V-Leuten
des Verfassungsschutzes in der rechten Szene.

Dem NSU werden zehn Morde zwischen 2000 und 2007 an neun türkisch- und griechischstämmigen Männern und einer Polizistin zur Last gelegt – unter anderem in Nürnberg. Zahlreiche Angehörige der Opfer verfolgten die Debatte im Bundestag. Die
Sicherheitsbehörden waren der Terrorgruppe jahrelang nicht auf die Spur gekommen, statt fremdenfeindlicher und rassistischer Motive unterstellten sieVerbindungen zumDrogenmilieu. Die Gruppe flog erst Ende 2011 auf. Die mutmaßliche NSU-Terroristin und einzige Überlebende der drei bekannten Täter, Beate Zschäpe,
steht seit 2013 vor Gericht.

„Zentrale Fragen bleiben offen“, sagte auch Petra Pau, die Obfrau der Linken im Ausschuss. Das Terror-Trio sei von V-Leuten „regelrecht umzingelt“ gewesen. „Gekaufte
Nazis“ stünden im Dienst des Bundesamts für Verfassungsschutz. Mit der Vernichtung von Akten in großem Ausmaß habe vertuscht werden sollen, wie stark die V-Leute von Nazis durchdrungen waren. Die Linke will die Arbeit dieser Informanten komplett
beenden. Die Grünen-Obfrau im Ausschuss, Irene Mihalic nannte die Aktenvernichtung einen „Riesenskandal“. Der bayerischen SPD-Innenpolitiker Uli Grötsch bescheinigte vor allem Bayern noch erheblichen Nachholbedarf bei der Aufarbeitung und
Aushebung der „rechtsterroristischen Struktur“, die den NSU unterstützte.

Michael Kniess, NZ/dpa